Freitag, 19. Juni 2009

Bildungszauberei

Der Applaus tobt. Ein Hase hüpft aus einem Hut. Zauberei.

Zweihundert Sekunden zuvor.

Gespannte Ruhe im Saal, eine gedimmte Bühne und ein Spot, der den Hut zeigt, aus dem in wenigen Sekunden etwas herbeigezaubert werden soll, sind die Werkzeuge, die Magie zum Leben erwecken.

Daß in der kurzen Zeit ein schwarzer Hase seelenruhig über die Bühne hoppelt, von zwei schwarz gekleideten Assistenten eingefangen und behutsam der suchenden Hand des Magiers gereicht wird, bemerkt niemand.

Der Meister lebt nicht davon, den Hoppelhasen anzukündigen. Denn sollten die Assistenten ein ganz freches Exemplar nicht mehr erhaschen können, zieht er statt des Hasen eine Mohrrübe aus dem Hut und hat damit ebenso ein Wunder vollbracht. Doch diesmal klappt es mit dem Hasen.


Zweiundert Jahre zuvor.

Während einer der beiden Brüder Humboldt nach Amazonien (A wie Alexander) reiste, war der andere ehrgeizige und strebsame Wilhelm (W wie Wissen) Bildungsreformer. Er gab dem von Meister Eckhardt eingeführten Begriff "Bildung" die preussische formale Note und ein Ziel. Ein autonomer Weltbürger sollte durch Universitäten heranwachsen, der neben seiner Mündigkeit auch die Vernunft zu gebrauchen versteht.

Bildung ist mehr als das Speichern von Wissen und Verfahren, es ist sogar mehr als Erfahrung. Ein gebildeter Mensch nimmt wahr, entdeckt, erkennt, benennt, bewertet, ordnet ein, fragt nach und bildet daraus Ideen für neues.

Selbst die Universität Leipzig, die heute ihren 600. Geburtstag feiert, hat erst mit ihrer vor zwei Jahrhunderten gewonnenen Autonomie der Selbstverwaltung begonnen, Disziplinen in Naturwissenschaft und Medizin auszubauen. Man kann sich erst wirklich entwickeln und neue Wege gehen, wenn man unabhängig ist.

Damals ahnte man aber noch nicht, wie stark Wissen zum Produktionsfaktor anreifen würde. Aus dem Anspruch auf Allgemeinbildung wurde zunehmend und schleichend ein Trainingsprogramm. Wie Muskeln, Lunge und Herz im Sport wurden Logik, Wissensspeicher und Kommunikationsfähigkeit schulisch trainiert.


200 Jahre in der Zukunft

NeuroTech Corp. stellt ihr Chipimplantant der Bilbliotheksserie 8200 vor. Nun können nicht nur 200 Bücher gespeichert werden, sondern über einen Bypass zum Sehnerv auch ein Rundgang durch eine virtuelle Bibliothek geführt und über die Zwischenablage mit Kontextsuche selbst themenfremde Gebiete mit Stackobjekten verknüpft werden. Das Produkt gibt es ab Oktober für 2.922 UNO im Handel und paßt auf den etablierten DIN-Neurosockel der 3. Generation.

Die Universitäten werden im Beschluß zur UN-Bildungskonferenz Berlin weltweit abgeschafft, da deren Wissensvermittlung nicht mehr dem Stand der Technik entspricht und durch eine zehnjährige Studie nachgewiesen wurde, daß der Aufenthalt an einer Universität und das Vermögen, selbständig zu arbeiten und zu denken, in keiner Beziehung zueinander stehen.


Handeln statt Heulen

Obwohl es schön ist, sich hin und wieder verzaubern zu lassen, so sollte man die Fähigkeit des Entzauberns beherrschen. Die Schulen sind hier gefragt, dafür den Grundstein zu legen.

Frühzeitig zu recherchieren, Angaben zu hinterfragen und sich selbst ein Urteil zu bilden, ist der Schlüssel zum autonomen Denken. Gerade im Internet, wo Wahrheit und Trug so nah beieinander sind, wo Realität und Virtualität dokumentiert sind und wo sich Menschen treffen, um ihre Sicht der Dinge auszutauschen, kann man sich probieren ohne nach Amazonien reisen zu müssen. Kein Meister fällt vom Himmel.

Der WMAN Ausbau unterstützt Schulen mit der Aktion "Schulen-ans-Breitband". Wollen Sie mehr wissen?

  • Streiken statt Bilden
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