Samstag, 1. Januar 2011

Cloud-ig mit Aussicht auf Datenbällchen

Prognosen von Experten sind wie Wettervorhersagen.Zu dieser Aussage kommen immer mehr Studien. Dagegen werden Experten gut bezahlt. Der Jahresetat des Sachverständigenrates der Bundesregierung beläuft sich z.B. auf 2,2 Millionen Euro. Soll dies alles umsonst sein?

Die wichtigsten Themen, die uns alle final berühren, wie Klimawandel, Energieengpässe, Wirtschaftskrise, Pandemien, Breitbandversorgung - welche Zukunft man auch nimmt, ist die Aussage der Experten damit zu bezweifeln?

Der Bandbreitenbedarf

Eine zunächst einleuchtende These ist, daß mit rapide steigender Bandbreite der Kostenverfall und die Anwendungsvielfalt zunehme. Wenn man aber bedenkt, daß die Telekom derzeit noch Kupferkabel aus den 60er Jahren für ihre DSL-Versorgung nutzt und dafür 30% bis 50% vom Anschlußpreis kassiert - auch von der Konkurrenz - , so kann man nicht zangsläufig von Kostenverfall sprechen. Auch das Iphone beweist, daß Innovation gerade eben nicht davon abhängt, wieviel Bandbreite für den Nutzer bereitsteht, sondern welche technischen Möglichkeiten der Nutzer am Zugangsgerät vorfindet. Erst durch Videodecoder in Hardware, kapazitative Touchscreens, leistungsfähige und kleine Prozessoren, große Speichersticks, integrierte Kameras wurde ein neues Anwendungsumfeld geschaffen. Die Art der Nutzung hat sich geändert. Man synchronisert und aktualisiert häufiger. Man lädt mehr hoch, statt nur down, man nimmt am Informationsangebot aktiv teil, statt nur zu betrachten und zu konsumieren. Aber steigt der Bedarf an Bandbreite pro Nutzer deswegen an? Noch nicht.

Es scheint, als ob die aufgeführten Gründe nur als Vehikel für die Plausbilisierung der Prognose dienen, nicht aber Untersuchungsgegenstand waren. Der Laie wundert sich.


Die Methodik

Nun ist nicht jeder Experte gleich dem Lobbyismus verfallen. Aber wie kommt er zu Prognosen? Mit welchen Zauberformeln rechnet er?

Prognosen beruhen auf der Annahme, daß sich ein Muster der Vergangenheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Zukunft wiederholt. Die einfachste Wiederholung ist dabei die Fortsetzung des aktuellen, linearisierten Trends. Und die einfachste Wahrscheinlichkeit ist die, daß es in jedem Fall passiert, im übrigen die deutscheste aller Tugenden, zwingend Recht haben zu wollen. Man kann dies auch an branchenfremden Beispielen belegen.

Die "Weiter so" 's

Die Jahrestemperatur des Erdklimas verläuft wellenartig. Über einige Jahre existiert ein Wärmehoch, dann mal wieder ein Kältetief, dann wieder ein Wärmehoch. Die Experten nehmen nun einen Aufwärtstrend der letzten Jahre und sprechen von einem kochenden Ofen in 100 Jahren. Applaus!

Nehmen wir die Ökonomen. Kurse von Aktien oder Indizes verlaufen ebenfalls wellenförmig - mal auf, mal ab. Die Experten haben sich von 2003 bis 2007 den Verlauf der Wirtschaftsindizes angeschaut und diesen bis 2010 extrapoliert, dann wäre der DAX vielleicht bei 19.000 Punkten gelandet. Dagegen ging es bergab. Überraschung?

Zurück beim Breitband angekommen, findet man auch hier dasselbe Know-How. Anhand des landesweiten Breitbandverkehrsvolumen der letzten 4 Jahre wird kräftig extrapoliert. Das schließt allerdings ein, daß sich einerseits immer mehr Menschen für das Internet interessieren und die anliegende Bandbreite natürlich intensiver genutzt wird. Auch nimmt man an, daß nun endlich alle Familienmitglieder gleichzeitig im Internet surfen können und mehrere Fernsehkanäle gleichzeitig übertragen werden sollen.

Die Trendwende

Doch das Verkehrsvolumen beschreibt etwas anderes. Hört z.B. ein Nutzer Internetradio mit 64kbit/s in AAC-Qualität verbraucht er pro Stunde 1/2 Megabyte, bei 8h pro Tag sind das im Monat schon 115 Megabyte! Er hat mehr Daten transferiert, benötigt aber für den Dienst Internetradio gar nicht mehr Bandbreite.

Auch die Begründung mit dem sogenannten IPTV's strauchelt. Oft handelt es sich gar nicht um einen offenen Fernsehzugang über IP, sondern um ein proprietäres Spezialangebot des Anbieters, das mit einer reinen Betrachtung der Internetnutzung nichts gemein hat. Es kommt als Multicaststream über's Telekomnetz oder als glasfasermoduliertes Frequenzband. Klassisches offenes IPTV dagegen benötigt für HD keine 3 MBit/s.

Zudem gab es für die Verfechter des Wachstums durch Videobandbreiten im Mai 2010 einen schwarzen Dienstag. Am 4.5. startete die Standardisierungsrunde für den HEVC, den Nachfolger des H.264, der nur noch 50% der Bandbreite des Vorgängers benötigt.

In der Ökonomie gilt diese Situation als Verkaufssignal. Der Wachstumstrend liegt am Markt in den letzten Zügen und die ersten Hedger rüsten sich für das Abstoßen der Papiere bzw. für eine Wette gegen den Trend.

Es ist ja nicht schlimm, wenn ein selbstbewußter Professor auf zwei oder mehr DIN-A4-Seiten seine Gedanken notiert. Doch es ist problematisch, wenn diese teuren Expertisen dann erst richtig Geld kosten, wenn die erdachten Probleme noch teurer "behoben" werden, womöglich mit fremden Geld, womöglich mit Steuergeld.

So erwartet uns für die Breitbandversorgung eine viel spannendere Frage: Was machen wir in Zukunft mit soviel Kapazität? Wenn uns nichts vernünftiges dafür einfällt, werden wir vermutlich auch 2011 wieder einen Experten fragen müssen.

In diesem Sinn wünschen wir allen Lesern ein erkenntnisreiches 2011!


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    PS:
    PIPE kann im Gegensatz zu H.264 sehr gut parallelisiert werden und arbeitet verlustfrei! Wäre es nicht absurd, wenn man den Kunden in zwei Jahren für Pixelbomben 6 MBit/s einfordert, zur selben Zeit aber verlustfreies HD-Bild mit einem MBit/s möglich wäre?
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