Montag, 22. März 2010

Shutter Breitband

Es war einer dieser ungemütlichen Abende, es stürmte, es war kalt und es roch nach Regen. Bei diesem Wetter sollte niemand draussen sein. Ich war unterwegs zu einem Termin. Ortschaftsräte erwarteten mich und wollten von mir eine Lösung, eine, in der ich mich auskannte. Seit Jahren wollten sie Breitband, doch sie wurden vertröstet. Wenn man auf einer Insel gefangen wäre, könnte man vielleicht fliehen. Doch bei der Breitbandproblematik gab es keine Flucht.
Die zum Rathaus umgebaute Scheune diente als Besprechungsort. Am Eingang begrüßte mich bereits einer der Herren und steckte mir einen Zettel zu. Dann reichte er mir einen heißen Tee. Ich kostete. Es roch nach Zimt. Ich liebe Zimt. Ich liess mir die Verwunderung über den Zettel nicht anmerken, verbarg ihn in meiner Tasche und stieg die Treppen zur ersten Etage hinauf. Als ich die Tür zum Ratsaal öffnete, blickten mich erwartungsvoll neun Räte an. Keiner war, wie der andere. Das Alter war ebenso gemischt, wie die Kleidung oder deren Frisuren. Vertraut kam mir das vor. Hier war ich nicht beim Businessmeeting mit Kaffee und tollen Sprüchen gelandet, hier war die Wirklichkeit.
Ich legte ab, stellt mich als Geschäftsführer eines riessigen Unternehmens vor, das im Grunde jeden Tag einmal Deutschland neu verkabeln könnte und blickte dabei selbst befriedigt in die neugierigen Gesichter der Anwesenden. Bei der Suche nach meiner Stichpunktliste kramte ich den Zettel hervor, den mir der Herr am Eingang steckte. Er war leer. Nur ein X fand sich in der Mitte. Was das wohl zu bedeuten hatte? Eine Schatzkarte? Geht es hier etwa um mehr, als gedacht?
Nun, ich sprach also weiter vom Investment. Wir würden die bestehende Infrastruktur des Monopolisten mitnutzen, auch dessen Multifunktionsgehäuse und dann das Signal per Glas heranbringen. Mit jedem dieser Worte glänzten die Augen der Zuhörer um ein weiteres mehr. Ich hätte hinter mir einen Schrein mit drei grossen Buchstaben platzieren können. Es war fast wie eine Gruppenhypnose und ich war der Therapeuth. Für einen Augenblick lang fühlte ich mich selbst als Teil der Sitzung und betete wie in einem buddhistischen Kloster ständig wiederholend "dee ess ell". Und ich fühlte mich so gut dabei. In wenigen Jahren werden es die Konzerne und deren Produkte sein, mit denen wir den Dingen Namen geben, es sind dann die DTAG-Universitäten, Alcatel-Plätze und 1&1-Parks, DSL-Flüsschen oder 16.000er Türme. Ob es das war, was Moses mit dem goldenen Kalb meinte, als er vom Berg Sinai hinabstieg? Folgt der Zorn Gottes? Ich bot an, Fragen zu stellen.
Die ersten Kritiker überzeugte ich souverän. Da wollte doch wirklich jemand wissen, ob wir das könnten, was die 39,95er Anbieter versprechen, und dies so bepreisen, wie es die 19,95er tun? Spannender wurde es, als mir jemand vorrechnete, daß allein die Leitungsmiete schon mit 10 EUR, die Multifunktionsgehäusenmiete und Bandbreite mit weiteren 10 EUR, beides Netto, doch bei 19,95er Tarifen Verlust einfahren würden? Aber auch hier halfen die Klassiker aller Argumente, nämlich die Stichworte Investoren und Fördergeld. Manchmal hilft auch Staatsregierung oder - wenn alle Stricke reissen - die Vorsible Bund.
Doch plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr so sicher. Trotz der ausgestrahlten Souveränität fühlte ich mich als einer von ihnen. Was wäre, wenn hier wirklich noch alle Jahrhunderte auf Breitband warten müssten? Als ich wieder aufsah, blickte ich auf die weiten Felder der Gemarkung. Ich befand mich nicht mehr in dem Ratssaal, sondern auf einem Bauernhof. Mir wurde bewußt, warum ich hier rumstand. Ich wartete auf den Upload meiner Meldedaten. Es wirkt sicherlich entspannend, warten zu können, aber bei diesem Warten sitzt ständig ein kleiner nerviger Geist im Genick, der darauf pocht, gleich wieder an die Arbeit zu gehen, wenn denn endlich dieser Uploadbalken sein Ende fände. Ich blickte wieder auf das Papier, was ich in meiner Hand hielt, das Papier mit dem X.
Wie die Firma benannt wäre, wollte der nächste wissen. Sein Blick ging in den Anschlag, als würde er mir eine Pistole in den Rachen stecken und bei einer unzufriedenen Antwort lässig abdrücken. Mit einem Pistolenlauf zwischen den Zähnen bringt man nur noch Vokale raus. "Äh" stotterte ich, "Äh-DSL". Doch der Typ ließ nicht locker. Ich hörte ein Entsicherungsgeräusch. Was soll das für eine Firma sein, meinte er. Daß ich neben meinen Ämtern noch eine Firma hätte, wüßte hier keiner. Ich solle die Karten auf Tisch legen, bohrte er immer stärker nach. Da erinnerte ich mich an die Schatzkarte und an das X. Es war kein Punkt auf einer Karte, es war eine Zehn. Zehn Ortsteile gehörten zu dieser Gemeinde. Einer fehlte. Ich konterte und fragte in die Runde, wo denn der Rest der Ortsvertretung geblieben sei. Dann drückte er wohl ab.
Wir sind doch vollständig, klang mir noch im Ohr, dann sackte ich zusammen. Langsam wurde mir klar, wie ausweglos das alles schien. Wieso sollen wir jetzt das geradebiegen, was die da oben durch Förderung von Industriemonopolen verbogen haben? Die ständigen Nachfragen nach Breitband für 19,95 hatten mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. Und ich habe mir einfach das erschaffen, was ich brauchte, einen Anbieter, der das leistet, was ökonomisch nicht möglich ist. Der zehnte Ortsrat war ich.

Diese Geschichte ist natürlich fiktionalen Ursprungs.