Mittwoch, 27. Mai 2009

Der Himmel war dunkelgrün

...sagte Max. Lisa schaute verduzt: "Karl meinte gestern abend noch, er wäre etwas heller, der Himmel, so grün wie eine Wiese an einem schönen Sommertag mit einem Blumentupfer Magenta. Wie lang bist Du eigentlich schon hier?"

[ eine Geschichte für Allegoriker ]

Max betrachtete etwas melancholisch die Fugen der Steinmauer, die das Verlies nach Süden hin begrenzte. Viel Platz war nicht. Obwohl er mit Lisa schon seit zwei Jahren das kleine Gefängnis teilte, hatte sie dies noch nie gefragt. Wieso sollte er Ihr eine Begründung dafür geben, daß er einfach nicht mehr wußte, wie der Himmel aussah. War er rot, gelb oder gar blau? Er wußte es einfach nicht mehr. Dunkelgrün schien ihm eine passende Antwort.

Die Zeitungen, zumindest jene, die sie zu lesen bekamen, berichteten über strahlend magentafarbene Himmel. Und sollte ein Himmel mal nicht magentafarben sein, so würde er bald entsprechend eingefärbt. Auch die Regierung, die sie bisher in diesem dunklen Gemäuer ließ, sprach davon, alles dafür zu tun, sämtliche Himmel lückenlos in ganz tiefem Magenta erstrahlen zu lassen. Gelder würden fließen. Die ganze Welt würde nur damit zu tun haben, den Himmel zu magentaisieren.

"Wie lang denn nun?" wiederholte Lisa ihre Frage.

"Lang genug, um zu wissen, dass der Himmel einfach alles andere als magenta aussieht."

"Karl meinte, der Himmel würde langsam Richtung Magenta drehen. Er hätte nämlich schon Farbtöpfe an den Straßenrändern gesehen. Weil der doch gestrichen wird oder so..."

Max ließ die Augen nach oben stieren, drehte sich rum und schlief langsam ein. Lisa blieb auf ihrer Antwort sitzen. Allein mit diesem Gefühl, sich nicht rechtfertigen zu müssen, kam der Schlaf viel früher, als sonst.

Plötzlich bebte der Boden. Die Pritsche wackelte, selbst die alte Holztür schien, sich nicht mehr in den Angeln halten zu können. Das Blechgeschirr klirrte wie in einem hochimprovisatorischen Jazzstück. Lisa und Max klammerten sich aneinander. Fällt jetzt alles zusammen?

Mit einem "Rumms..." fielen drei massive Steine aus der Mauer. Die entstandene Staubwolke wurde Sekunden später durch ein tiefblaues Licht erhellt. Durch das Loch klang eine warme Stimme: "Kommen Sie, hier geht's ins Freie! Frische Luft nach Jahren! Nehmen Sie meine Hand." Lisa empörte sich: "Da kann es gar nicht ins Freie gehen. Der Himmel ist magenta, das weiß doch jeder! Sie sind ein Betrüger. Ich werde den Wärter rufen. Karl, Hilfe, Hilfe!"

Max drehte sich wieder um. Der Himmel war also doch nicht dunkelgrün, dacht er. Jetzt hatte er ihn gesehen. So schön. So toll. Es wäre schade, wenn er mit ansehen müßte, wie er magenta gefärbt werden würde. Eine viel bessere Option wäre es, dieses wunderschöne Blau für ewig in Gedanken zu behalten, insgeheim. Und wozu die Freiheit? Er hatte sich an Lisa gewöhnt, Sie waren sich in den letzten Jahren sogar näher gekommen. Und er konnte Sie ja mit seinem dunkelgrünen Himmel so schön in Rage bringen, wo Sie doch so sehr den Zeitungen glauben will. Dann funkeln ihre Augen immer so leidenschaftlich. Wozu so etwas aufgeben? Da kam auch schon der Wärter.

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